Logo: Schwung

... Schwung zum Leben – Termine und Newsletter


Startseite | Termine | Newsletter | Persönlich

Sie befinden sich hier: Startseite > Newsletter > Newsletter-Archiv > Newsletter Juni/Juli 2016

Newsletter Juni/Juli 2016

Die Links innerhalb des Newsletters öffnen in einem neuen Fenster.


Zur Newsletter-Übersichtsseite
Zum Newsletter-Archiv



Schwung: Newsletter Juni/Juli 2016




Liebe Leserin, lieber Leser,

der Sommer steht vor der Tür, und mit ihm die Ferienzeit. Mal für ein paar Wochen raus aus dem Alltagstrott, raus aus Zeitdruck und Streß, endlich entspannen, entschleunigen und mal nichts tun. Streß raus … schaffen wir das wirklich? Es fängt ja schon mit dem Reisestreß an: Auto beladen, nichts vergessen, rauf auf die Autobahn, Höchsttempo angeschlagen, Tempolimits großzügig ausgelegt – bis uns der nächste Stau zur Entschleunigung zwingt. Doch das fühlt sich nicht nach Entspannung an – es ist Streß pur.

Also lieber mit dem Flieger in die Ferien? Koffer packen, nichts vergessen, mitten in der Nacht zum Flughafen, sich in die endlose Schlange am Schalter einreihen, noch mal anstehen an der Sicherheitskontrolle … und dann eineinhalb Stunden warten, bis der Flieger zum Einsteigen bereit ist – auch das fühlt sich mehr nach Streß als nach Entspannung an.


Streßfaktor Beschleunigung

Wenn wir etwas im Überfluß haben, dann Zeitmangel. Alle klagen über Hektik, Beschleunigung, Streß. Doch wir stecken so drin in dem, was wir beklagen, daß wir es kaum noch schaffen, zur Ruhe zu kommen. Wir müssen uns förmlich dazu zwingen, und das macht wieder Streß, statt Entspannung zu bringen. Wie nötig das ist, wird uns vielleicht bewußt, wenn wir bedenken, daß sich in den letzten 200 Jahren unser Reisetempo um das Hundertfache beschleunigt hat, und unser Kommunikationstempo gar um das Zehnmillionenfache. Und es wird immer schneller!

Das ist nicht nur ein Problem für unsere Gesellschaft, sondern vor allem für die Wirtschaft. Sie beschleunigt eigentlich, um den Profit zu steigern: Zeit ist Geld! Mehr, mehr, mehr! Doch in den letzten 20 Jahren beschleunigen Digitalisierung und Globalisierung das Arbeitstempo mit einem solchen Druck, daß inzwischen kein Nutzen mehr dabei herauskommt. Dafür immer mehr Schaden. Das spüren einerseits die Menschen. Sie werden krank, brennen aus, fallen oft von einem Tag zum anderen aus und kommen erst nach Monaten wieder zurück zur Arbeit – oder nie wieder, weil sie sich einen weniger stressigen Job suchen.


Kein Segen für Unternehmen

Daß das andererseits auch den Unternehmen schadet, liegt auf der Hand. Der plötzliche Ausfall wichtiger Leistungsträger (sie sind es, die ausbrennen) trifft die Unternehmen direkt. Das ist nicht wie vor einem lange geplanten Urlaub, vor dem man alles ordnet und der Urlaubsvertretung übergibt. Sondern der Mitarbeiter ist ohne Vorwarnung und ohne Vorbereitung plötzlich einfach weg. Und dann erst mal für lange Zeit nicht erreichbar. Noch schlimmer ist – wie es einer Führungskraft einmal während einer Podiumsdiskussion rausgerutscht ist –, daß die Leute, die aus dem Burnout in die Wiedereingliederung zurückkommen, „nicht mehr zu gebrauchen sind“. Denn sie hätten in der Burnoutklinik oder in der Therapie gelernt, Nein zu sagen und Grenzen zu setzen. Was für ein Licht wirft diese kurze Bemerkung auf unsere entgrenzte Arbeitswelt!

Doch nicht erst der Ausfall eines Kollegen ist problematisch. Streß selbst kostet die Unternehmen mehr, als ihnen lieb ist, denn er führt zu einer Art Tunnelblick. Der unter Zeitdruck stehende Mitarbeiter hat das Gefühl, es nicht zu schaffen. Er konzentriert seine Aufmerksamkeit und seine Bemühungen deshalb auf das Allernötigste. Er sieht nur noch das, was unbedingt fertig werden muß. Es geht nur noch um die Sache an sich – nicht mehr um das, was die Sache umgibt, mit ihr zusammenhängt und sie mit beeinflußt. In einer digitalisierten und globalisierten Welt, in der alles mit allem immer enger vernetzt ist und sich gegenseitig immer mehr beeinflußt, ist dieser streßbedingte Reduktionismus ein bisher scheinbar noch kaum erkanntes Riesenproblem und die Ursache für unzählige Planungsfehler, Pannen und Qualitätsmängel, für Rückrufe, Kostenexplosionen und Vertragsstrafen.


Kein Blick fürs Offensichtliche

Das bekannteste Beispiel dafür war das Jahr-2000-Problem, die teuerste Technikpanne seit der industriellen Revolution: Heerscharen gestreßter Programmierer haben nur ihre Programmieraufgabe gesehen und dabei völlig aus den Augen verloren, daß es mit dem Jahr 2000 einen Zahlensprung im Datum geben würde, auf den sie ihre Programme hätten vorbereiten müssen. Und das ist nicht das einzige Beispiel. Warum schafft es Siemens seit Jahren nicht, seine neuen ICEs an die Bahn auszuliefern? Warum schafft Airbus es nicht, seinen neuen Transporter A400M flugfähig zu machen? Warum kriegen sie es in Berlin nicht hin, eine funktionierende Brandschutzanlage für den Großflughafen zu bauen?

Die Fragen könnte man endlos fortsetzen. Die Ursachen sind im einzelnen sicher vielfältig. Doch stets gehören dazu eine Maßlosigkeit (immer mehr, immer größer, immer schneller) und der damit steigende Streß. Planer, Verantwortliche und Ausführende verlieren vor lauter Zeit- und Anforderungsdruck den Blick fürs Ganze. Damit bleiben Einflußgrößen unbeachtet, die das Projekt an entscheidender Stelle treffen und zum Scheitern bringen. – Wenn Sie hochsensibel sind, erwarten Sie an dieser Stelle sicher meine Anmerkung, daß der nötige Weitblick eine besondere Begabung Hochsensibler ist. Das ist richtig, und er wäre dringend nötig in unserer Arbeitswelt. Doch unter Streß und Hektik verengt sich leider auch der Blick Hochsensibler. Sie können es dann auch nicht mehr rausreißen.


Keine Zeit für Einarbeitung

Überraschend bin ich auch aus einer ganz anderen Richtung wieder auf das Problem der Beschleunigung gestoßen: Gibt es den vielbeschworenen Fachkräftemangel wirklich? In einigen Bereichen – vor allem da, wo Arbeitsbedingungen oder Bezahlung schlecht sind – ja. Aber wie ist das mit dem Fachkräftemangel bei den Ingenieuren? Auf der einen Seite suchen Unternehmen – natürlich stets „händeringend“ – nach Ingenieuren, auf der anderen Seite finden arbeitssuchende Ingenieure keine Jobs. Was passiert da wirklich? Die in den Stellenangeboten genannten Anforderungen sind so speziell, daß kein Bewerber sie erfüllen kann. Selbst wer wenigstens ansatzweise auf die Stelle passen könnte und sich darauf bewirbt, bekommt den Job nicht. Man wartet lieber weiter darauf, daß sich vielleicht doch noch der absolut perfekte Bewerber meldet – und schreibt die Stelle notfalls noch mal aus.

Warum das? Verständlich, daß sich Personalabteilungen mit Entscheidungen schwertun und Wagnisse meiden. Die falsche Person einzustellen kostet das Unternehmen viel Geld und wirft obendrein ein schlechtes Licht auf die Personalabteilung. Doch das Problem sitzt tiefer. Es fehlt schlicht an der Zeit, neue Leute, die nicht alle nötigen Kenntnisse mitbringen, zu schulen oder einzuarbeiten. Und es ist nicht nur der „ganz normale“ Streß, der es den vielbeschäftigten Kollegen unmöglich macht, sich um den Neuen zu kümmern. Sondern die irrsinnige Beschleunigung des technischen Fortschritts wird zum unerbittlichen Antreiber: Da soll möglichst schnell ein neues Produkt mit ganz spezieller Technologie entwickelt werden. Der Gesuchte soll dabei mit seinen ganz speziellen Kenntnissen und Erfahrungen in eben dieser Technologie helfen.

Weil die Technologie jedoch ganz neu ist, gibt es keine Leute, die den geforderten Spezialabschluß darin haben, geschweige denn die geforderte Erfahrung. Bis man einen neuen Kollegen eingearbeitet oder gar auf eine Schulung zur neuen Technologie geschickt hat, ist die Konkurrenz mit dem gleichen Produkt auch schon so weit. Eine Situation, die die Widersinnigkeit der Beschleunigung illustriert. Bildung braucht Zeit, und Erfahrung braucht nochmals Zeit, egal wie sehr man die Hände ringt (was immer man dabei mit ihnen macht – ich habe es bisher noch nicht herausgefunden).


Keine Zeit für Bildung

Es liegt auf der Hand, daß sich das Problem im Bildungswesen fortsetzt. Einen hochwertigen Studiengang zur aktuellsten Technologie nach dem Bedarf der Industrie zu erstellen, dauert seine Zeit. Ihn durchzuführen, dauert weitere Zeit. Damit hinkt das Bildungssystem unweigerlich der technischen Entwicklung hinterher. Und produziert letztlich Absolventen am Bedarf vorbei. Stehen die Absolventen nach Jahren endlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, treibt die Industrie längst die nächste Kuh durchs Dorf, denn die Produktzyklen sind kurz. Die Absolventen finden keinen Job, und das Geld, das Politik oder Bildungsträger in diese Ausbildung gesteckt haben, ist nutzlos verpulvert.

Zu erwähnen sei an dieser Stelle auch, daß die Lernenden und Studierenden selbst den Streß der Beschleunigung hart zu spüren bekommen. Getrieben von den Forderungen der Industrie nach schnellem Arbeitskräftenachschub wird das Lernen und Studieren zum Wettrennen. Ich habe in „meinem“ Onlinestudium letztes Jahr dieses beständige Jagen nach Terminen, Punkten und Noten selbst erlebt. Der Zeitdruck ließ kaum eine Möglichkeit, sich in Ruhe mit dem Lernstoff zu beschäftigen, ihn zu verstehen und sich anzueignen, also wirklich zu Eigen zu machen. Das ist mir erst nach dem Studium gelungen. Noch nie war Lernen für mich so anstrengend. Dabei fällt es mir nicht schwer zu lernen. Welch eine Ironie, daß die Industrie, die den Bildungsturbo gefordert hat, nun selbst darüber klagt, die Turbo-Absolventen seien nicht gut genug ausgebildet.


Keine Zeit für Qualität

Resultat und zugleich Treiber der Beschleunigung ist auch die immer kürzere Lebensdauer von Produkten. Unter dem Stichwort „geplante Obsoleszenz“ („geplanter Verschleiß“) diskutiert man darüber, ob die Industrie bewußt Teile in technische Produkte einbaut, die frühzeitig verschleißen, um die Kunden möglichst bald zum Ersatzkauf zu zwingen. Die Stiftung Warentest will zwar keine Anzeichen für eine künstliche Begrenzung der Lebensdauer gefunden haben, doch Fachleute sehen sehr wohl welche – zumal es für die Industrie in gesättigten Märkten kaum eine andere Möglichkeit gibt, noch Wachstum zu erzielen.

Der Ökonomieprofessor und Buchautor Christian Kreiß nennt Beispiele für die mutwillige Produktverschlechterung. Es begann schon vor 100 Jahren, als der Autobauer General Motors auf schnelle Modellwechsel setzte, während Ford auf seinen Fließbändern über lange Zeit unverändert sein langlebiges Modell T produzierte. Nur wenig später schlossen sich die großen Glühlampenhersteller zum Phoebus-Kartell zusammen, das seine Mitglieder verpflichtete, die Lebensdauer von Glühlampen auf maximal 1000 Stunden zu senken. (Heute hält man das für eine gegebene Eigenschaft von Glühlampen und mißt daran die Lebensdauer von Energiesparlampen.) Später war es der Konzern Colgate-Palmolive, der als erster die Öffnungen von Zahnpastatuben unnötig vergrößerte, um den Verbrauch zu steigern.

Heute sind viele Produkte nicht mehr reparierbar, oder Ersatzteile sind überteuert. Der neueste Schrei sind fest eingebaute Akkus, die nur eine begrenzte Zahl von Ladezyklen erreichen und bald ein noch funktionierendes Gerät zu Elektroschrott machen. In Druckern und Kopierern sorgen verborgene Zähler für ein frühzeitges Ende. Eine Vielzahl softwareabhängiger Produkte wird irgendwann obsolet, weil der Anbieter den Zugang zum Softwareangebot oder die Versorgung mit Updates einstellt. Computer und Smartphones müssen regelmäßig erneuert werden, weil neue Software immer höhere Leistungsanforderungen hat. Und nicht zuletzt sind es die kurzen Produktzyklen selbst, die das alte, noch funktionsfähige Gerät für seinen Besitzer uninteressant machen und Anreiz zum Kauf des schicken Nachfolgers geben.


Nicht mal Zeit zum Profitmachen

Dabei haben die Hersteller ihre liebe Not damit, daß die Entwicklung immer schneller gehen muß und sich kaum noch amortisiert. Gewiefte Kunden warten inzwischen auf das Erscheinen der nächsten Version, bevor sie die aktuelle Version kaufen, weil dann deren Preise drastisch fallen. Ansonsten verstärken sich die Hast der Unternehmen und die Hast der Kunden gegenseitig. Geplanter Verschleiß ist in diesem Zusammenhang nicht nur böswillig zu verstehen, sondern auch rational. Wozu soll man ein Gerät mit hochwertigen Komponenten bauen, das zehn Jahre hält, wenn der Durchschnittskunde es ohnehin nur ein Jahr lang betreibt? Die wenigen, die keine Durchschnittskunden sind und das Gerät länger betreiben wollen, haben dann eben Pech gehabt.

In der Geschäftswelt (business to business) taucht das Problem der künstlichen verkürzten Lebensdauer übrigens nicht auf. Es geht also auch anders. Dennoch gibt es auch hier kürzer werdende Produktzyklen, die auf die höhere Attraktivität des Neuen setzen. So verkaufen große Fluggesellschaften gerade erst eingeflogene Flugzeuge schon nach wenigen Jahren, weil sie das neue, noch spritsparendere Modell haben wollen. Die unzähligen gebrauchten, noch lange einsatzfähigen Maschinen landen dann entweder bei kleineren Fluggesellschaften, die sich über billige Gebrauchtpreise freuen, – oder auf den riesigen Flugzeugfriedhöfen Arizonas. Sparsamkeit oder Klimaschutz sind starke Argumente auch für Privatkunden, mit denen man uns neue Kühlschränke, Waschmaschinen und Energiesparlampen andreht. Daß dieses Klotzen mit Ressourcen weitaus schädlicher für Umwelt und Klima ist, als der langjährige Betrieb eines alten Produkts, sehen wir dagegen nicht. Und daß wir dabei auch noch draufzahlen, sehen wir eigenartigerweise auch nicht.


Kein Ende in Sicht

Globalisierung, Digitalisierung und Beschleunigung machen nicht zuletzt auch aus Politikern Getriebene: Die Regierung ist verantwortlich für die Infrastruktur – also auch für die so dringend benötigten Datenautobahnen. Jeder soll Zugang zu schnellem Internet haben, doch noch immer ist es nicht überall verfügbar. Neben technischen und finanziellen Problemen steht auch dieses: Der Begriff „schnell“ unterliegt selbst der Beschleunigung. Was gestern noch schnell genug war, reicht heute nicht mehr aus. Zugleich gibt es mit zunehmender Digitalisierung immer mehr „Verkehr“ auf den Datenautobahnen: Wer an der eigenen Technik sparen will, speichert seine Daten eben im Internet. Musik und Filme genießt man inzwischen kaum noch in Radio und Fernsehen, sondern jederzeit in allerbester Qualität direkt aus dem Internet. Das kommende „Internet der Dinge“ läßt die „Teilnehmerzahlen“ obendrein unentwegt steigen – von intelligenter Haustechnik über Industriesteuerungen bis hin zu selbstfahrenden Autos. Das Internet als Lösung für alle Probleme, als Allheilmittel, als Heilsversprechen – wird es das schaffen? Was passiert mit unserer durchdigitalisierten Welt, wenn das Netz unter dieser Last eines Tages zusammenbricht?

(Nachträgliche Ergänzung: Genau das ist wenige Tage nach dem Versand dieses Newsletters im kleinen passiert: An einem Sonnabendmorgen ging stundenlang nichts mehr im Telekom-Mobilfunknetz. Hinzu kam: Die innerbetriebliche Kommunikation der Telekom läuft übers eigene Mobilfunknetz (es wäre seltsam, wenn es nicht so wäre). Aber gerade das machte es schwierig, mitten in der Nacht den Bereitschaftsdienst aus dem Bett zu klingeln, und es verursachte Kommunikationsprobleme unter den an der Fehlersuche beteiligten Leuten.

Ganz generell gilt: Dinge oder Prozesse haben ihre Eigenzeit. Ein anschauliches Beispiel dafür ist ein Pendel: Es schwingt immer mit seiner eigenen Geschwindigkeit, immer gleich. Deshalb verwendete man es früher zum Bau von Uhren. Wenn man es anstößt, um es in Bewegung zu halten oder die Bewegung vielleicht noch zu verstärken, dann muß man ihm Impulse entsprechend seiner Eigenzeit geben. Dafür reicht schon geringer Energieaufwand. Wird man mit den Impulsen schneller, weil man es beschleunigen will, dann erreicht man nur das Gegenteil: Man bringt das Pendel aus dem Takt. Es schwingt nicht schneller, sondern ungeordnet. Es ist ein stärkeres Eingreifen mit mehr Energie nötig, um es überhaupt noch in Bewegung zu halten. Wir könnten es eigentlich wissen: Beschleunigung ist kein Patentrezept, mehr aus Ressourcen, Prozessen oder Menschen herauszuholen.


Keine Möglichkeit zu entschleunigen

Aber warum beschleunigen wir dann trotzdem immer weiter? Warum entschleunigen wir nicht einfach auf ein gesundes Maß? Weil es inmitten des atemlosen Wettrennens ein großes Risiko bedeutet. Wer sich traut, langsamer zu werden oder ganz aus dem Rennen auszusteigen, ist nicht mehr vorn. Die anderen überholen ihn, er selbst landet vielleicht abgeschlagen am Ende. Andere machen das Geschäft und kassieren das Geld, man selbst geht vielleicht pleite. Das muß zwar nicht so sein, es wäre vielleicht sogar die Chance für einen grandiosen Neuanfang. Aber das weiß man vorher eben nicht. Das Risiko ist unkalkulierbar hoch, und die allermeisten Entscheider können und wollen es verständlicherweise nicht eingehen.

Es gibt wenige Mutige, die sich so weitreichende Entscheidungen zu treffen trauen. Einer von ihnen war der frühere Technikchef des Computerherstellers IBM, Gunther Dueck – ein bekennender Hochsensibler übrigens. Unter seiner Ägide entschied IBM: Wir bauen keine Computer mehr. Das können die Chinesen besser und billiger. Wir satteln statt dessen um auf Dienstleistungen und beraten Anwender bei der Nutzung komplizierter Computersysteme für komplizierte Anforderungen. Ich weiß leider nicht, wie sich das aufs Unternehmen ausgewirkt hat, und wie die Beschäftigten den Wandel erlebt haben. Ich weiß auch nicht, wie derzeit der Streßpegel im Unternehmen ist. Aber immerhin ist das ein Beispiel dafür, daß größere und schlagartige Veränderungen möglich sind, ohne das Unternehmen zu zerstören.

So radikal muß es ja nicht mal sein. Es ist ja schon eine mutige und große Entscheidung, wenn ein Unternehmen beginnt, sich um seine Mitarbeiter zu kümmern: Betriebliche Gesundheitsförderung kostet Geld und amortisiert sich nicht gleich im nächsten Quartal. Sie braucht schon einen längeren Atem – eine harte Entschleunigungs-Herausforderung für Management und Controlling. Solange allerdings die Arbeit selbst weiter beschleunigt, hilft selbst die beste Gesundheitsförderung nicht auf Dauer. Es wird zum Faß ohne Boden, wenn man die Leute einerseits stärkt und in die Lage versetzt, besser mit dem Streß umzugehen, aber andererseits der Streß trotzdem immer weiter steigt.


Abrupte Störung

Doch die Entwicklung hat eine derartige Eigendynamik bekommen, daß wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr los werden. Wo soll das noch hinführen? Ein allmähliches Abbremsen scheint nicht möglich. Es braucht wohl einen harten, aufrüttelnden, verstörenden Bruch, um die Entwicklung radikal zu stoppen. Nicht ohne Grund macht derzeit ein Schlagwort die Runde, das genau das ausdrückt: DisruptionStörung. Benutzt wird es bisher vor allem im Sinne einer noch schnelleren Digitalisierung zur weiteren Verdrängung des Analogen für noch schnelleres Wachstum. Also im Grunde nur: Noch mehr vom Selben. Doch was wir brauchen, ist vielmehr ein lauter Paukenschlag, der uns innehalten und aufschauen und fragen läßt: Was um alles in der Welt machen wir hier eigentlich?

Nun höre ich das alte Argument: Wenn es keinen Fortschritt gäbe, würden wir heute immer noch in Höhlen wohnen. Nein, es geht nicht darum, den Fortschritt aufzuhalten. Sondern vielmehr um etwas, das dem Fortschritt Raum schafft, und das der Ökonom Josef Schumpeter „schöpferische Zerstörung“ nannte: Wenn wir nicht immer schneller nur mehr vom Selben machen wollen, dann muß das Alte weg, um Neuem Platz zu machen. Vielleicht geht das an einem Punkt, an dem es nicht mehr so weitergehen kann wie bisher, nur über eine Krise. Dieses Wort klingt unangenehm, beängstigend, krisenhaft. Es bedeutet Veränderung, und damit eine existentielle Bedrohung für die, die vom derzeitigen Lauf der Dinge abhängig sind – für Privilegierte nicht weniger als für einfache Leute. Wir haben Angst vor der Krise, versuchen sie zu bekämpfen, schon bevor sie ausbricht. Doch Krise bedeutet: Wendepunkt. Die Krise ist der Moment, in dem sich entscheidet, ob der Patient gesund wird – oder stirbt.

Werden wir eine Zukunft haben oder rennen wir in eine Sackgasse? Der Zukunftsforscher Hans Millendorfer sagt: „Die Zukunft wird menschlich, oder es wird keine geben.“ Das Neue, das wir brauchen, ist eine Wirtschaft, die wieder den Menschen in den Blick nimmt und dem Menschen dient. Eigentlich sollte das ja ihr ursprüngliches Wesen sein. Aber sie ist krank und entstellt, dient dem Geld, der Digitalisierung, der Globalisierung, dem Wettbewerb, dem Erfolg, dem Größenwahn, der Gier und was sonst noch alles. Dabei geht es doch immer nur um den Menschen. Das ist übrigens auch der Kern von Berufung: Welche Bedürfnisse anderer Menschen kann ich mit meinen Fähigkeiten befriedigen, welchen Mangel füllen, welche Probleme lösen? Es wird Zeit, daß zusammenkommt, was zusammengehört: Berufene Menschen und eine menschliche Wirtschaft.


Radikal entschleunigen

Unsere Berufung macht uns nämlich stark und widerstandsfähig. Wenn wir das tun und in dem leben, „wofür wir geboren sind“, dann können wir ein Stück besser mit Streß und Hektik umgehen. Und auch mit den Auswirkungen von Krisen. Unangenehm wird es, wenn wir nicht nur auf der Arbeit, sondern auch in der Freizeit Getriebene sind und überhaupt nicht mehr zur Ruhe kommen. Dann brauchen wir auch Disruption im eigenen Leben. Vielleicht müssen wir radikal – zumindest eine zeitlang – Verpflichtungen abgeben oder Liebgewonnenes aufgeben.

Vielleicht legen wir ab und zu mal einen „disruptiven“ Tag der Entschleunigung ein, an dem wir keine (oder nur wenige) Termine haben, mehr Zeit für das Übrige einplanen und die Dinge bewußt langsam angehen. Es braucht eine bewußte Entscheidung, sich beispielsweise im Supermarkt nicht an der besten, sondern der erstbesten Schlange anzustellen (und dann noch jemanden, der ungeduldig ist, vorzulassen), die Mails erst am nächsten Tag zu sichten oder ein langsameres Verkehrsmittel als sonst zu wählen – etwa Fahrrad statt Auto oder Gehen statt Fahrrad. Wenn nämlich unser innerer Antreiber ungeduldig wird, dann können wir ihn zügeln, indem wir ihn auf eben diese Entscheidung verweisen.

Probieren Sie’s doch mal aus. Die Sommerzeit mit ihren langen Abenden ist eine wunderbare Gelegenheit dafür. Auffällig viele Menschen haben zu allen Zeiten über Ruhe und Muße nachgedacht – auch schon früher, als das Leben noch bedächtiger ablief. Deshalb gibt es dieses Mal gleich einen ganzen Satz von Zitaten dazu … zum geruhsamen Lesen und Nachdenken. Für die vor uns liegende Ferienzeit wünsche ich Ihnen gute Erholung – und erholsame Entschleunigung.

Herzlichst,
Ihr Reimar Lüngen



„Ruhe zieht das Leben an, Unruhe verscheucht es.“
– Gottfried Keller


„Nur der entspannte Mensch ist wirklich schöpferisch.“
– Cicero


„Die Kunst zu ruhen ist Teil der Kunst zu arbeiten.“
– John Steinbeck


„Man sollte nie so viel zu tun haben, daß man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.“
– Georg Christoph. Lichtenberg


„Muße haben bedeutet, Zeit zu haben, um neue Ideen zu entwickeln,
eingefahrene Verhaltensmuster zu überdenken, Alternativen auszuprobieren.“
– Gerd Haeffner


„Ich habe keine Zeit für Eile.“
– Igor Strawinsky


„Eure Zeit ist begrenzt. Vergeudet sie nicht damit, das Leben eines anderen zu leben.“
– Steve Jobs



Inhalt

> Termine und Infos
> Beruflichen Wandel meistern



Termine und Infos

Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. Schon ist wieder Sommer. Und das bedeutet: Die Seminartätigkeit ruht. Für Coaching bin ich aber weiterhin ansprechbar – bis auf ein Zeitfenster von etwa Mitte Juni bis Mitte Juli. Dann werde ich auf Reisen sein.

Genießen auch Sie die Sommerzeit!

Immer wieder werde ich gefragt, ob es solche Seminare, wie ich sie anbiete, auch anderswo als nur in Norddeutschland gäbe. Meines Wissens nicht – aber ich würde sie auch woanders halten, wenn ich eingeladen werde. Langfristige Anfragen takte ich trotz der aktuellen Projekte gern mit ein. Wenn es am Ort einen Ansprechpartner oder ein Team gibt, das bei der Organisation hilft und lokal auch ein wenig die Werbetrommel rührt, dann können wir mit wenig Aufwand Großes erreichen – natürlich zu beiderseitigem Nutzen, wie bisherige Veranstaltungen zeigen. Also: Wenn Sie mich als Referent einladen möchten, dann sprechen Sie mich gern an!

Mehr zu meinen Seminarthemen auf: www.RLuengen.de/termine



Beruflichen Wandel meistern

Sie sind frustriert im Beruf? Drohen auszubrennen? Langweilen sich zu Tode? Vermissen den Sinn? Wissen nicht, wie es weitergehen soll? Dann bleiben Sie nicht in Ihrer frustrierenden Situation! Sie riskieren sonst vielleicht sogar gesundheitliche Schäden. Warten Sie nicht, bis es zu spät ist.

Wenn Sie sich eine Veränderung nicht zutrauen oder nicht wissen, was Sie als nächstes tun sollen, dann stehe ich Ihnen mit Berufungscoaching und/oder Bewerbungscoaching gern zur Verfügung: Sie entdecken, was in Ihnen steckt, gewinnen Klarheit über Ihre Möglichkeiten, wissen, welche Richtung Sie einschlagen können, verstehen, wie der Bewerbungsprozeß funktioniert und präsentieren mutig einen Lebenslauf, auf den Sie stolz sein können.

Wenn Sie sich das wünschen, dann lassen Sie sich doch zu einem unverbindlichen und kostenlosen Kennenlerntelefonat einladen. Wir nehmen uns Zeit füreinander und ergründen, was Sie brauchen und was ich für Sie tun kann. Sie gehen kein Risiko ein: Nur wenn alles perfekt paßt, beginnen wir mit dem Coaching. Davor sind Sie zu nichts weiter verpflichtet.

So erreichen Sie mich:

Reimar Lüngen
Onckenstraße 11
22607 Hamburg

Tel. 040/28 41 09 45
E-Mail info@klaarkimming.org

Mehr Infos auf: www.KlaarKimming.org




Zur Newsletter-Übersichtsseite
Zum Newsletter-Archiv


Sie befinden sich hier: Startseite > Newsletter > Newsletter-Archiv > Newsletter Juni/Juli 2016


Stand: Juni 2016
Impressum | Datenschutz

Seitenanfang